Gerne stellen wir unseren Blog befreundeten Gruppen zur Verfügung. Besonders, wenn es um ein wichtiges Thema wie den Kampf gegen Menschenfeindlichkeit in Oberfranken geht. Deshalb lest ihr hier Hintergünde zum antisemitischen Anschlag aus Ermreuth, zusammengetragen von Aufstehen gegen Rassismus Bamberg.
Hier findet ihr das Instagram– und hier das Facebookprofil der Gruppe.
Was ist passiert?
Ermreuth, Silvester 2022: Ein Fenster der Synagoge wird vorsätzlich eingeschlagen, um diese mithilfe eines Feuerwerkskörpers in Brand zu setzen. Am 1. Januar bemerkt eine Passantin die zerbrochene Scheibe am Eingang der zum Glück ansonsten noch intakten Synagoge und meldet den Vorfall der Polizei.
Nachdem der mutmaßliche Täter, ein 21-jähriger Mann aus dem Nachbarort, ermittelt worden ist, erfolgt ein Haftbefehl durch die Staatsanwaltschaft. Fünf Tage nach der Tat wird der Verdächtige in Untersuchungshaft genommen, kommt allerdings bald wieder frei. Die Ermittlungsrichter hatten den Haftbefehl gegen ihn wegen fehlender Fluchtgefahr abgelehnt, woraufhin die Staatsanwaltschaft Bamberg Beschwerde einlegt. Zu diesem Zeitpunkt gehen die Ermittelnden bereits von einer antisemitisch und rechstextremistisch motivierten Tat aus.
Am 10. Januar wird das Verfahren von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) übernommen und durch den Antisemitismusbeauftragten der Bayerischen Justiz geführt. Am 12. Januar hat die Beschwerde der Bamberger Staatsanwaltschaft Erfolg und der mutmaßliche Täter kommt erneut in Untersuchungshaft. Dort befindet er sich noch immer und hat die Tat mittlerweile gestanden.
Zum Umgang mit dem versuchten antisemitischen Brandanschlag
Bevor die Motive bekannt sind, erklärt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass ganz Oberfranken noch nie negativ in Bezug auf Antisemitismus aufgefallen wär. Eine absolut vermessene Aussage, die sowohl im Blick auf die Vergangenheit als auch Gegenwart Oberfrankens schlichtweg falsch ist.
Aber man muss gar nicht den ganzen Regierungsbezirk in den Blick nehmen, um die Absurdität einer solchen Einschätzung offenzulegen – auch in Ermreuth selbst gibt es in dieser Hinsicht genug zu melden.
An der Wand der Synagoge, die an Silvester Ziel des Anschlags war, wurden schon vorher Hakenkreuze hinterlassen und ein Nachbar ist bekennender Reichsbürger, der seine antisemitischen Verschwörungsmythen offen zu Tage trägt.
Nur fünf Gehminuten entfernt befindet sich das Schloss Ermreuth, das eine Nazivergangenheit und -gegenwart hat. Schon seit 1926 war das Schloss im Besitz führender Nationalsozialisten. Jetzt lebt seit über 40 Jahren der Rechtsextremist Karl-Heinz Hoffmann, Gründer der Wehrsportgruppe Hoffman, dort.
Wer ist die Wehrsportgruppe Hoffmann?
Vor dem Verbot der 1973 von ihm gegründeten Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) führt der sogenannte „Chef“ Karl-Heinz Hoffmann dort wöchentliche Manöverübungen in SS-Uniformen mit bis zu 500 Männern und Frauen durch. Anwohner*innen bekommen dies damals mit und lachen darüber, denken sich nichts dabei oder relativieren die Aktivitäten der WSG anderweitig.
Im Dezember 1976 stellt die WSG in Tübingen den Saalschutz für eine Veranstaltung des rechtsextremen Hochschulrings Tübinger Studenten und geht dabei gewaltsam mit Totschlägern gegen antifaschistische Gegendemonstrierende vor.
Nachdem Hoffmann sein „Manifest zur Errichtung der rational-pragmatischen Sozialhierarchie“ veröffentlicht, wird die Gruppe am 30.01.1980 verboten. Anschließende Hausdurchsuchungen führen zur Beschlagnahmung von insgesamt 18 Lastwagenladungen voller Militärausrüstung, welche vor allem auf Schloss Ermreuth gefunden wurden. Daraufhin gründet Hoffman die „Wehrsportgruppe Ausland“ im Libanon, da er dort mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) vernetzt ist.
Am 26.09.1980 verübt das 21-jährige WSG-Mitglied Gundolf Köhler das Oktoberfestattentat. Er zündet einen Sprengsatz am Haupteingang. 13 Menschen sterben, über 200 werden teils schwer verletzt. Franz Josef Strauß (CSU) verharmlost die WSG weiterhin und schiebt die Schuld auf Linke. Der Verfassungsschutz wirkt bei den Ermittlungen mit, sodass Köhler als Einzeltäter dargestellt wird, Spuren in die Neonazi-Szene verwischt werden und wichtige Beweise verschwinden.
Nicht ganz drei Monate später, am 19.12.1980, werden Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrem Bungalow in Erlangen von Hoffmanns engstem Vertrauten Uwe Behrendt erschossen. Lewin war Rabbiner und Antifaschist, der sich stark gegen Hoffmann einsetzte. Ermittelt wird dennoch wochenlang nur im Umfeld von Lewin. Und das, obwohl Hoffmann ein klares Tatmotiv hat und Behrendt die eindeutig identifizierbare Sonnenbrille von Hoffmanns Lebensgefährtin am Tatort liegen lässt. Hoffmann verhilft seinem Jünger Behrendt zur Flucht in den Libanon, wo dieser sich suizidiert, bevor er als Tatverdächtiger von den Behörden gefasst werden kann. So kann Hoffmann in der Folge jegliche Mitschuld an dem Doppelmord auf ihn abweisen.
1981 wird Hoffmann wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung festgenommen und ein halbes Jahr später schon wieder freigelassen. Wegen anderer Delikte wird er 1986 zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Seit 2010 ist er wieder politisch aktiv: Er hält Vorträge für Neonazis, hat eine Homepage und einen YouTube-Kanal, die auch beide heute noch existieren. Er wohnt nach wie vor im Schloss Ermreuth, befindet sich aber momentan im Krankenhaus.
Unsere Kritik
Es bleibt offen, wie dem Polizeisprecher – der seine Aussage mittlerweile als Missverständnis richtiggestellt haben möchte – ein so buchstäblich naheliegender Fall antisemitischer Gewalt nicht bewusst sein konnte. Fest steht: Es hat in der Vergangenheit sehr wohl Probleme mit Antisemitismus in Oberfranken gegeben, es gibt sie offensichtlich auch gegenwärtig und es wird sie auch in Zukunft geben – vor allem dann, wenn die polizeiliche Beurteilung und die mediale Berichterstattung weiterhin auf diese Weise stattfindet.
Auch der Fränkische Tag versäumt es, antisemitismuskritisch oder gar aus jüdischer Perspektive über den versuchten Brandanschlag in Ermreuth zu berichten. Stattdessen konzentriert man sich dort auf die Befindlichkeiten der Anwohnenden, die nicht etwa um das Wohl ihrer jüdischen Mitmenschen, sondern vor allem um den schlechten Ruf ihres Ortes besorgt sind. So sehr habe man daran gearbeitet, den Ruf als Nazi-Nest loszuwerden und dann passiert ausgerechnet so etwas – schlecht für die gutbürgerliche PR, auf die man scheinbar mehr wertlegt, als die effektive Bekämpfung der aktiven Rechtsextremist*innen im Ort. „Was soll man denn machen, wenn so jemand einfach in das Dorf zieht?“, lässt sich Bürgermeister Walz (CSU) zitieren und auch der Eigentümer des Schlosses gibt an, er würde Hoffmann ja gern rausschmeißen, müsse aber das Mietrecht beachten. Keine von Antisemitismus betroffene Person kommt zu Wort. Das einzige, was dem nahe kommt, ist die Aussage der Kuratorin Dr. Rajaa Nadler, die in der ehemaligen Synagoge eine Kultur- und Begegnungsstätte aufgebaut hat. Sie verharmlost vergangene antisemitische Vorfälle jedoch gekonnt: „[P]assiert ist eigentlich nie etwas, höchstens mal eine Hakenkreuz-Schmiererei“ . Den Aussagen eines faschistoiden Reichsbürgers aus dem Ort wird hingegen reichlich Platz eingeräumt, um seine antisemitischen Verschwörungsmythen wiederzugegeben.
Wenn das die Art und Weise ist, mit der wir Angriffen auf jüdische Einrichtungen begegnen, kann diese Ignoranz und Relativierung den Weg zur Toleranz und gar Akzeptanz antisemitischer und rechtsextremer Vorfälle bahnen. Nicht nur die Taten, sondern auch ein solcher Umgang mit ihnen sollte uns alle aufschrecken lassen!
Unsere Forderungen:
Ein Ende der jahrzehntelangen Verharmlosung der Wehrsportgruppe Hoffmann!
Nehmt Rechtsextremismus endlich als die Bedrohung für unsere Gesellschaft wahr, die sie ist, und hört auf mit eurer in die Jahre gekommenen Hufeisentheorie!
Eine ordentliche Berichterstattung – vonseiten der Polizei wie auch der Presse!
Die Polizei darf, bevor sie spricht, gerne entweder kurz überlegen oder aber einen Blick in die hauseigenen Akten werfen. Vielleicht bliebe dem Pressesprecher dann in Zukunft eine solche Blamage erspart. Erspart bliebe auch den Opfern von antisemitischen Angriffen sowie ihren Angehörigen der Hohn, den eine solche Ignoranz mit sich bringt.
Von der Presse und allen, die über solche Vorfälle sprechen:
Reflektiert, wer bei solchen Gewalttaten tatsächlich und an erster Stellen Schaden nimmt! Wir müssen den Blick über die eigenen Belange und Erfahrungen bzw. die der Mehrheitsgesellschaft hinaus, hin auf die Anliegen der unmittelbar Betroffenen und besonders Gefährdeten richten. Nur so kann echte Aufarbeitung anstatt dem Befeuern weiterer Scheindebatten geleistet werden!
Einen anderen Umgamg mit antisemitischer und rechter Gewalt vonseiten der Behörden!
Es kann nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft gegen das Gericht klagen muss, damit ein Verdächtiger für eine antisemitische Tat in Untersuchungshaft kommt. Solche Fehleinschätzungen haben Kontinuität bei den Behörden. Auch der Vater des Attentäters von Hanau lebt nach wie vor in nächster Nähe der Überlebenden und Angehörigen der Opfer. Er beleidigt und bedroht sie, wurde jedoch nur wegen Beamtenbeleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt.
Ein Ende der Ignoranz von antisemitischen Handlungen und Aussagen!
Seit 2020 ziehen in mehreren oberfränkischen Orten Querdenken-Ableger wöchentlich durch die Straßen und verbreiten dabei unter anderem antisemitische Verschwörungsideologien. Wann interessieren sich Gesellschaft und Polizei endlich mal für antisemitische und andere menschenfeindlichen Aussagen auf Querdenken-Demonstrationen?
Quellen:
– https://www.instagram.com/p/CnPQ3erMRXx/, 15.01.23
– https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Ermreuth, 15.01.23
– https://www.infranken.de/lk/forchheim/ermreuth-rechter-anschlag-auf-synagoge-tatverdaechtiger-ist-schon-wieder-frei-art-5615627, 15.01.23
– https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-anschlag-auf-synagoge-mutmasslicher-taeter-doch-in-u-haft,TSkUt4V, 15.01.23
– https://www.zeit.de/news/2023-01/04/scheibe-einer-synagoge-in-oberfranken-beschaedigt?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F, 15.01.23
– https://www.deutschlandfunkkultur.de/wehrsportgruppe-hoffmann-eine-geschichte-staatlichen-100.html, 15.01.23
– https://www.fraenkischertag.de/lokales/forchheim-fraenkischeschweiz/blaulicht/versuchter-brandanschlag-auf-synagoge-ermreuth-weckt-boese-erinnerungen-art-220654, 15.01.23
– https://www.erinnernheisstkaempfen.de/, 15.01.23
– https://www.hagalil.com/archiv/2006/01/hoffmann.htm, 15.01.23
– https://www.spiegel.de/politik/chef-ich-habe-den-vorsitzenden-erschossen-a-ad6cc9c9-0002-0001-0000-000013512120?context=issue, 15.01.23
– https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-angriff-auf-synagoge-kritik-an-polizei-aussage,TSf01I3 (16.01.2023)
– https://www.juedische-allgemeine.de/politik/synagoge-in-oberfranken-beschaedigt/?q=ermreuth (16.01.2023)
